Bericht No. 2

Hier kommt mein zweiter offizieller Zwischenbericht an meine Unterstützer und Unterstützerinnen.

Jerusalem, März 2014

Liebe Unterstützerinnen und Unterstützer,

liebe Freunde und Bekannte,

schon drei Monate ist es her, dass ich meinen ersten Bericht geschrieben habe.
Doch die Zeit vergeht so schnell wie drei Stunden Zug fahren mit einem guten Buch.
Und schon ist es März und über die Hälfte meines Jahres ist vorbei.

Diesmal möchte ich darüber schreiben, wer ich hier bin. Hier, in dieser berühmt berüchtigten Heiligen Stadt erlebe ich oft Dinge, die mich spüren lassen, dass ich anders bin, als die Menschen, die hier leben und trotzdem auch anders als die Touristen, die sich durch die Altstadt drängen.

Denn:
Ich lebe hier …

Es ist Montagabend. Ich komme gerade vom Sport und habe noch nichts gegessen.
Da passt es mir gut, dass der Falafelstand meines Vertrauens geöffnet ist und ich stelle mich an.
Vor mir sind zwei Frauen. Inzwischen kann ich Touristen recht schnell ihrer Nationalität zuordnen. Es sind bestimmt Deutsche. Sie bestellen drei Falafel und fangen an ihr Geld zu zählen.
„Wie viel will er jetzt?“ – „Ich hab’s nicht genau verstanden.“ Sie haben nicht mehr genug Schekel und versuchen dem Verkäufer auch Euro in die Hand zu drücken, doch er nimmt sie nicht an.
„Er möchte Ihre Euros nicht“, sage ich zu ihnen. Sie drehen sich verwundert um.
„Sie sprechen ja Deutsch!“ – „Wir haben aber nur noch 10 Schekel!“
Ich gebe ihnen die paar Schekel, die ihnen noch fehlen. Sie freuen sich und die erste Frau möchte mir 2€ dafür geben.
„Nein, danke“, sage ich. „Ich brauche die nicht. Ich lebe hier.“
„Wirklich?“ Die beiden sind sehr interessiert und stellen mir ein paar Fragen zu meiner Arbeit und zu meinem Leben in Jerusalem.
Als ich zum Bus gehe, beiße ich in meine Falafel und muss schmunzeln. Was für eine schöne Begegnung. Ja, ich brauche keine Euros, denn ich lebe hier.

… und fühle mich trotzdem oft fremd.

Ich stehe in unserem Obst- und Gemüseladen an der Ecke und kaufe Erdbeeren.
Inzwischen bin ich geübt im Smalltalk auf Arabisch und schwätze ein bisschen mit dem Verkäufer, der mich gut kennt und sich jedes Mal freut, wenn ich zu ihm in den Laden komme.
Plötzlich fällt mir eine Frucht auf, die ich in den letzten Tagen schon öfter in den Märkten der Stadt gesehen hat. Sie ist etwa walnussgroß, leuchtend grün und flauschig wie ein Pfirsich.
„Was ist das?“ frage ich den Verkäufer auf Arabisch. Er sagt ein Wort, das ich nicht kenne. Ich schaue fragend. Er deutet auf die geraspelten Mandeln. Ich verstehe immer noch nicht.
Er nimmt eine und beißt rein, ohne sie zu schälen oder irgendwas.
Ich muss wohl sehr verwirrt schauen, denn er lacht und mit ihm alle Anderen im Laden. Also gibt er mir eine und fordert mich auf, sie zu essen. Ganz vorsichtig nehme ich sie in den Mund. Alle schauen mich an.
Es fühlt sich an wie ein kleiner Pfirsich. Ich beiße zu, es ist weder weich noch hart. Säuerlich, dann süßlich. Nicht gerade wie eine Mandel, aber sehr interessant.
„Quaies!“, rufe ich. – „Gut!“
Alle lachen und ich stimme leise mit ein. Huch, wo bin ich denn hier gelandet?

Ich bin Christin …

Dezember, der Advent springt von Sonntag zu Sonntag. Den drei Tage andauernden Schneesturm haben wir mit Hilfe von Heizkörpern und viel Tee überlebt.
Plötzlich ist es Weihnachten. Das erste Mal nach 18 Jahren, dass ich Weihnachten ohne meine Familie und nicht im behüteten Zuhause feiere. Und das auch noch im Heiligen Land.
In Jerusalem teilt man die Menschen nach Religion ein, Judentum, Islam und Christentum. Die Frage nach der Religionszugehörigkeit folgt meistens direkt nach der Frage nach dem Namen. Wobei man mit der Zeit auch aufgrund der äußeren Erscheinung einschätzen kann, ob das Gegenüber in eine Kirche, eine Moschee oder in eine Synagoge geht. Da diese Stadt von Religion so geprägt ist, ist es für die Menschen, die hier leben, wichtig, alle Feiertage im Auge zu behalten.
Die jüdischen Feiertage sind nur so durchgerauscht: Sukkot, Jom Kippur, Rosh Hashanah, Chanukka und Purim. Auf muslimischer Seite habe ich vor allem das Opferfest mitbekommen. Am Damaskustor und in der Altstadt kaufen die muslimischen Frauen Süßigkeiten und kleine Geschenke für ihre Kinder.
Einzig allein der Februar war feiertagsfrei von drei Religionen.
Jetzt ist also Weihnachten. Doch Weihnachten in Israel und Palästina ist nicht wie Weihnachten in Deutschland. Ein paar christliche Geschäfte haben dekoriert und vereinzelt kann man Nikoläuse aus Schokolade kaufen. Ansonsten läuft die Stadt in ihrem alltäglichen Ablauf weiter, ungestört von einem der wichtigsten Feiertage der Christen.
Es ist der Morgen des Heiligabends. Ich möchte vom Ölberg runterfahren um mich mit Freunden zu treffen. Wir wollen zum internationalen Gottesdienst in Bethlehem.
Ich habe es eilig, stehe an der Straße und warte auf einen Bus oder ein anderes Gefährt, das mich mitnimmt.
Ein Kleinbus hält an, ich steige ein und zahle 5 Schekel. Ein unausgesprchener, allgemein bekannter Preis. Der Fahrer hört Musik aus dem Koran, er ist Muslim.
Nach einem Blick auf mich durch den Rückspiegel, sagt er „Merry Christmas“ – Frohe Weihnachten.
Ich freue mich darüber. Die Christen sind in der arabischen Welt eine Minderheit und sind nicht besonders angesehen in der Gesellschaft.
Ein kleiner Schritt auf dem Weg zu gegenseitigem Verständnis, zum Frieden.

… insbesondere: ich bin evangelisch.

Im Januar feierten wir die Gebetswoche zur Einheit der Christen. Eine Woche lang gab es jeden Abend in einer Kirche der verschiedenen Konfessionen einen kleinen Gottesdienst.
Es war eine gute Gelegenheit, die verschiedenen Konfessionen im Christentum kennen zu lernen.
Ich war bei einem armenischen Gottesdienst.
Ein Mann in einem schwarzen Gewand deutet mit der einen Hand auf einen Vorhang, der vor einer Tür hängt und mit der anderen legt er seinen Zeigefinger auf die Lippen.
Ich trete ein. Ein dunkler Raum eröffnet sich mir. Sitzplätze gibt es nur an den Wänden, die anderen Besucherinnen und Besucher stehen oder sitzen. Der Boden ist mit Teppichen ausgelegt.
Überall hängen Öllampen wie in jeder orthodoxen Kirche. Es riecht nach Weihrauch und Ölen. Es werden Kerzen und eine Übersicht des Ablaufes ausgeteilt. Ich versuche vergeblich eine Liturgie zu erkennen, die mir bekannt ist.
Armenische Geistliche in schwarzen Gewändern, teilweise mit Kaputze, lesen Texte und beten. Ich verstehe nichts, aber es der Klang des Armenischen ist interessant und ich versuche der Übersicht zu folgen. Die Kerzen werden angezündet und jede und jeder gibt seine Flamme weiter. Ein Männerchor singt. Keine Frau ist am Gottesdienst beteiligt.
Am Ende sind die Oberhäupter der anderen Konfessionen dazu eingeladen, zusammen zu segnen.
Ich bin beeindruckt von der Atmosphäre und gleichzeitig fühle ich mich total fremd..
Das gehört also auch zum Christentum.

Den evangelischen Gottesdienst feiern wir, die deutsche Gemeinde, gemeinsam mit der arabischen. amerikanischen und dänischen in der Erlöserkiche.
Ich darf die Fürbitte auf Deutsch sprechen. Am Mikrofon stehend schaue ich in die Kirche. In der ersten Reihe sitzen orthodoxe Patriachen und Priester. Auch katholische Mönche, Nonnen und Pastoren sind anwesend. Hinter mir stehen evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer.
Der Unterschied der Konfessionen ist so offensichtlich, dass es für mich oft schwer ist, an ein einheitliches Christentum zu denken. Vor allem mit der Verehrung der heiligen Orte, wie der Ort der Kreuzigung in der Grabeskirche oder der Geburt Jesu in Bethlehem, kann ich oft wenig anfangen.
Auch die Tatsache, dass bei uns auch Frauen Pfarrerinnen werden können, ist sehr charakteristisch für die evangelische Kirche.
Unsere Pfarrerin Ulrike Wohlrab ist oft die einzige Frau bei Treffen der verschiedenen Kirchen. Angehörige anderer Konfessionen verstehen das oft nicht. Einmal hat sie mir von folgendem Gespräch erzählt:
“Und dürfen Sie auch Gottesdienste halten?“ – „Ja, selbstverständlich.“ – „Auch verheiraten?“ – „ Ja.“ – „Dürfen Sie auch taufen?“ – „Ja, das auch.“ – „Aber doch sicherlich nur Frauen!?“

Ich bin eine junge Frau.

So stark wie hier war mir das in Deutschland nie bewusst. Im palästinenschen Viertel fällt man immer auf, weil man kein Kopftuch trägt oder einen anderen Kleidungsstil hat. Und in einem ähneln sich Israelis und Palästinenser wie Geschwister: Die Männer sind sehr direkt.

Ich bringe ein kleines Paket auf die Post, ein Freund von mir in Deutschland heiratet.
Der Beamte am Schalter wiegt ab und erklärt mir, wie lange es dauert, jenachdem wie viel ich bezahle. Ich wäge ab.
„Ist es für deinen Freund in Deutschland?“ fragt der Postbeamte auf Englisch.
Selbst nach über einem halben Jahr überrascht mich soviel Distanzlosigkeit noch.
„Nein“, antworte ich und erkläre ihm, dass ein Freund von mir heiratet.
Ohne zu zögern fragt er: „Und was ist mit dir?“ – „Ich bin noch nicht verheiratet“, antworte ich schmunzelnd.
„Gut so!“ sagt er. „Du bist jung! Lass dir Zeit!“
Ich bedanke mich für diese Lebensweisheit und denke wieder einmal, dass mir sowas in Deutschland nie passiert wäre.

Ich komme aus Deutschland …

„Is it possible to see the church?“ fragt mich ein Besucher auf Englisch vor unserer Kirche. Ich höre an seinem Akzent, dass er Deutscher ist.
„Ja, hier ist der Eingang“, erkläre ich deshalb auf Deutsch.
Er schaut mich mit großen Augen an.
„Wo haben Sie denn so gut Deutsch gelernt?“ fragt er ich verwundert.
„Ich bin Deutsche und arbeite hier als Volontärin“, antworte ich und lache ein wenig in mich hinein.
Die meisten deutschen Besucherinnen und Besucher freuen sich, wenn sie unsere kleine deutsche Insel auf dem Ölberg betreten. Die Schilder und Flyer sind deutsch, es gibt deutschen Käsekuchen im Café zu essen und Veranstaltungen auf Deutsch.
Auch wenn ich vor meiner Zeit hier die Befürchtung hatte, in der israelischen Kultur im Zusammenhang mit der deutschen Geschichte irgendwie anders behandelt zu werden, kann ich eindeutig sagen, dass dies überhaupt nicht der Fall ist. Im Gegenteil, Deutschland durch die Politik ist ein sehr beliebtes Land, sowohl auf israelischer als auch auf palästinensischer Seite.

… und damit bin ich politisch neutral.

 Meine Eltern und mein Bruder sind zu Besuch und wir fahren nach Bethlehem, ins Westjordanland.
Durch den Bau der israelischen Sperranlage bzw. die Mauer, die es für Palästinenser der Westbank fast unmöglich macht, Israel zu betreten, ist auch der Tourismus in Bethlehem stark zurückgegangen. Die Straße, die vom Checkpoint 300 nach Bethlehem führt, war früher eine sehr belebte Straße, die Jerusalem mit Bethlehem verband. Früher standen dort Geschäfte und Hotels, heute haben mussten viele Palästinenser schließen, weil die Touristen ausblieben, die ihre Haupteinnahmequelle war.
Wir nehmen ein Taxi von der Innenstadt zum Checkpoint.
Ich spreche ein wenig Arabisch mit dem Fahrer, also fragt er mich, wo ich das gelernt habe.
„Ich lebe in Jerusalem auf dem Ölberg und meine Familie ist gerade zu Besuch“, erkläre ich ihm.
Er ist sehr interessiert und fängt auch an, über die politische Situation zu reden.
„Weißt du, es ist sehr wichtig, dass die Menschen hierher nach Palästina kommen und sehen, wie wir hier leben und dass es nicht gefährlich ist! Wenn Internationale kommen und die Besatzung der Israelis sehen, können sie was verbessern. Du als Deutsche musst den anderen Ausländern sagen, dass es sicher ist und dass sie kommen sollen.“
Er appelliert an meinen neutralen Status als Internationale.

Ich lebe in einem Konfliktgebiet …

Der Nahostkonflikt ist für mich so gut wie an jedem Tag spürbar. Was ich vor allem wahrnehme ist die Besatzungssituation der Palästinenser. Männer, die trotz Studium im Ausland, Taxi fahren müssen, weil sonst das Geld nicht reicht. Familien, die durch die Sperranlage oder Mauer getrennt wurden und ein Wiedersehen mit äußerst viel Aufwand verbunden ist.
Die Lage ist kompliziert für alle Beteiligten, vor allem wenn man nicht im Land lebt und jetzt ins Detail zu gehen ist mir – ehrlich gesagt – eine zu große Herausforderung. Falls konkrete Fragen bestehen antworte ich aber gerne auf jede E-Mail!

… und finde trotzdem meine kleinen Zeichen des Friedens.

 Gerade heute habe ich etwas tolles erlebt.
Ich habe in der Kirche gearbeitet, den Shop betreut und den Eintritt der BesucherInnen kassiert.
Auf einmal tritt Amazia mit seiner Frau Jean und einer weiteren Freundin ein. Er ist ein Freund von mir, den ich im Kibbutz Ein Hashofet kennengelernt habe, den wir im November einmal besucht haben. Seitdem kommt er immer bei uns vorbei, wenn er gerade in Jerusalem ist. Er ist ein israelischer Jude, seine Frau ist auch jüdisch und kommt aus Amerika.
Heute hat mir seine Frau Jean Blumen aus dem Kibbutz mitgebracht.
Amazia erzählt mir: „Ich habe sie gefragt, was sie mit den Blumen macht, wenn du nicht da bist.“
Sie führt lächelnd fort: „Ich hätte sie draußen jemandem gegeben, der einen Freund im Krankenhaus besucht.“
Die Menschen im Krankenhaus sind Palästinenser.

Diese Momente bereichern meine Hoffnung, dass in diesem Land irgendwann einmal Frieden herrschen wird. Wenn Menschen die Kluft zwischen sich überbrücken und sich gegenseitig respektieren, dann wächst der Frieden.

Ich hoffe, ich habe einen kleinen Eindruck von meinen Erlebnissen schaffen können und damit wünsche ich allen frohe Ostern und einen schönen Frühling.
Auch hier wird es langsam immer wärmer, man fängt an in seinen langen Hosen, die man in Ostjerusalem tragen sollte, zu schwitzen. Überall blüht es und es ist länger hell abends.
Bald kommt ist Ostern, das wird besonders spannend, da nicht nur das Ostern der Westkirche (evangelisch und katholisch) und das Ostern der orthodoxen Kirchen aufeinanderfällt, sondern in dieser Zeit auch der jüdische Feiertag Pessach ist.

Salam und Shalom,

Hanna

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